Alle Ergebnisse TSG eSPORTS TSG IST BEWEGUNG TSG Radio
SPIELFELD
13.12.2023

„Einfach nur kicken“

Im Sommer beendete Sebastian Rudy seine Karriere als Fußballprofi und verließ die große Bundesliga-Bühne. Doch die Liebe zum Sport ist zu groß, um ganz aufzuhören. Seit dem Herbst läuft der Bundesliga-Rekordfeldspieler der TSG Hoffenheim in der Kreisklasse A für die SpG Dilsberg I/ Bammental II auf. SPIELFELD hat den 33-Jährigen getroffen und war beim Neckargemünder Derby gegen den SV 08 Waldhilsbach mit dabei.

„Lose Yourself“ von Eminem pumpt lautstark aus der Soundbox, es ist fünf Minuten vor Anstoß. Daniel Weitzell, ein baumhoher Mann und Urgestein der SpG Dilsberg I/Bammental II, blickt in die Runde der stickigen Gästekabine. Sebastian Rudy rückt seine Schienbeinschoner zurecht. Er kämpft jetzt mit seinem neuen Team gegen den Abstieg aus der Kreisklasse A Heidelberg. Trainer Weitzell dreht Eminem leiser und wird selbst lauter: „Steht auf, Männer! Wir gehen da jetzt raus und es wird von Anfang an nur in eine Richtung gehen.“ Er schwört die Spieler ein, manchmal überschlägt sich seine Stimme. „Wir werden hier heute gewinnen. Habt Spaß!“ Drinnen siegessicherer Jubel, draußen läuft Guns N‘ Roses, „Welcome to the Jungle“.

Der Sportplatz des SV Waldhilsbach liegt mitten im Grünen, umgeben von Wäldern, einem Friedhof, einem Minigolf-Platz und einer Skater-Anlage, die einsam auf Skater wartet. Für den Klub aus dem Neckargemünder Ortsteil stand einst schon HSV-Vorstand Jonas Boldt im Tor, auch zahlreiche Angestellte der TSG Hoffenheim wie Marketing-Mitarbeiter Daniel Uthmann trugen oder tragen das schwarz-rote Dress des Klubs, den der heutige Bundestrainer Julian Nagelsmann einst scherzhaft als „das Farmteam der TSG“ bezeichnet hatte. Der Weg zum Derby führt durch den Neckargemünder Ortsteil stetig bergauf, die letztmögliche Abzweigung einer Sackgasse nach links; wer geradeaus weitergeht, landet nach 1,8 Kilometern an der Neckarriedkopfhütte im Wald. Heute Nachmittag biegen gut 200 Leute links ab. Die Nachricht, dass Sebastian Rudy nach dem Karriereende als Profi noch eine unbestimmte Zeit in der Kreisklasse A dranhängt, verbreitete sich in der Region wie ein Lauffeuer. Zu Heimspielen kommen jetzt doppelt so viele Zuschauer wie vorher. Und trotz Sturm und Regen ist das Interesse auch beim heutigen Auswärtsspiel größer als sonst.

Der Ball liegt auf dem Anstoßpunkt, die Banden lassen rätseln, versprechen Erstklassiges – Wappen des 1. FC Köln, VfB Stuttgart, FC Bayern München, Eintracht Frankfurt oder Borussia Mönchengladbach. Sebastian Rudy könnte zu allen Geschichten erzählen, ein Buch schreiben, aber dafür ist er nicht der Typ. Im September hat der 33-Jährige das Kapitel Profifußball still und leise für beendet erklärt – nach 358 Bundesliga-Spielen, 295 davon für die TSG Hoffenheim, was ihn hier zum Rekordfeldspieler macht. 29-mal lief er für die Nationalmannschaft auf, 2017 wurde er Confed-Cup-Sieger, 2018 Deutscher Meister mit den Bayern. Es gibt Spieler, die für die lohnende Nachspielzeit ihrer Karriere in die USA oder nach Saudi-Arabien wechseln. Rudy, Rückennummer 16, stößt um 14:32 Uhr im Waldhilsbacher Nieselregen an.

Auf dem Platz spielt er nicht nur im Mittelfeld eine zentrale Rolle, tritt sämtliche Ecken und Freistöße, verteilt den Ball und hat enorm viele Ballkontakte. Die Süddeutsche Zeitung schrieb nach seinem Karriereende, er habe den Rhythmus des Spiels gespürt, in sich aufgenommen, weitergetragen und seinen Mitspielern damit ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. „Sie wussten immer, dass neben ihnen einer spielt, der sich auskennt.“ Das bestätigt Dilsberg-Kapitän Frederik Schmitt: „Ich weiß nicht, wie er das macht, aber Sebastian ist immer anspielbar. Allein das zu wissen, ist gut. Er weiß, was wann zu tun ist.“ Und das tut er ruhig und überlegt, ein leiser Leader. Es ist Rudys drittes Spiel mit dem Team, das erste ging trotz eines traumhaften Freistoßtores des 33-Jährigen verloren, im zweiten reichte es nur für ein Unentschieden. Ein Sieg muss her für den Tabellenzwölften. Und tatsächlich trifft Daniel Chmielewski in der 25. Minute nach einem Fehler des Waldhilsbacher Keepers ins rechte Eck zum 1:0.

Die Freude währt allerdings nur kurz. Wenige Minuten später zimmert Ruben Beck den Ball aus der Distanz in den Winkel zum Ausgleich. Es ist ein ausgeglichenes Spiel, es geht hin und her, das Publikum geht mit, auch der von der Heimmannschaft entsandte Linienrichter wird emotional: „Kommt schon, auf geht's“, brüllt er Waldhilsbach voran. Eckstoß Dilsberg, Rudy legt sich den Ball zurecht, hebt den rechten Arm und bringt den Ball scharf in den Strafraum, wo Sven-Ole Harms per Kopf zum 1:2 trifft. Halbzeitpause. „Scheiß Wetter, scheiß Ergebnis“, resümiert der Linienrichter und legt den Regenschirm beiseite. Unter den Zuschauern sind auch TSG-Präsident Kristian Baumgärtner und der frühere Stadionsprecher Mike Diehl. „Für uns als TSG ist es natürlich schade, dass er sich so entschieden hat. Er war immer ein Leistungsträger, der die jungen Spieler geformt hat“, findet Diehl. „Für den Breitensport ist es super, dass ein Spieler wie er in der Region kickt. Das zeigt, dass er hier verwurzelt ist, sich heimisch fühlt. Basti ist ein absolut bodenständiger Fußballer mit Herz, der weiterhin viel Spaß am Fußball hat“, sagt Baumgärtner.

Der Spaß steht für Rudy tatsächlich klar im Vordergrund: „Ich will einfach nur kicken und mit den Jungs hier macht es echt richtig Spaß. Als ich zum ersten Training ging, wollte ich eigentlich nur mal schauen, wie es sich anfühlt. Nach fünf Minuten habe ich gesagt: Macht meinen Pass fertig, ich bin dabei.“ In der Kabine gehe es strenger zu als in der Bundesliga, sagt er und lacht. „Vorher hatte ich kurz mein Handy in der Hand. Das hat einer gesehen, ich musste direkt Strafe zahlen.“ Der Jubel von Zehntausenden fehle ihm nicht, noch weniger all der Rummel um seine Person, die große, permanente Öffentlichkeit. „Ich war nie der Typ dafür. Nach so langer Zeit im Geschäft bin ich froh, meine Zeit selbst bestimmen zu können und nicht mehr fremdgesteuert zu sein.“ Anfangs habe er schon etwas Bedenken gehabt, ob man ihn als Neuling im Amateurfußball hart angehen würde: „Als ehemaliger Bundesligaprofi bist du ja eigentlich eine Zielscheibe, aber bisher habe ich überhaupt keine schlechten Erfahrungen gemacht. Es geht hier zwar hart zu, aber fair und respektvoll.“

Die Härte bekommt er in der zweiten Hälfte dann doch unangenehm zu spüren. Bei einem unglücklichen Zweikampf bekommt er einen Schlag aufs Knie und geht in der 60. Minute humpelnd vom Platz. Er gibt aber schnell Entwarnung. Bitter ist die Auswechslung aber auch aus einem anderen Grund: Zwei Minuten später bringt Waldhilsbach schließlich Sebastians Bruder Florian ins Spiel, der seit kurzem wieder für den SV spielt. Eigentlich hatten die beiden sich auf das Bruderduell gefreut. „Das letzte Mal haben wir in der A-Jugend gegeneinander gekickt, er war beim KSC, ich beim VfB. Wir haben 1:0 gewonnen, ich habe das Tor geschossen, das weiß ich noch ganz genau“, sagt Sebastian Rudy.

Sein Team gibt die Führung aber im Regen von Waldhilsbach auch ohne ihn nicht mehr aus der Hand und gewinnt nach einer spannenden Schlussphase mit 4:2. In der Kabine feiern Rudy und seine Mitspieler mit „Derbysieger“- Rufen und einem Kasten Bier. „Ich finde es megageil, dass er bei uns spielt, das gibt uns einen richtigen Ruck. Es kommen auch mehr Spieler zum Training. Das ist schon eine Extra-Motivation, sicher auch für unsere Gegner“, sagt Kapitän Schmitt. „Gegner“ Florian Rudy trifft seinen Bruder nach der Dusche eine Etage höher im vollen Clubhaus. Die beiden lehnen entspannt am Tresen und unterhalten sich unter einem alten Schild, auf dem „Fußball-Treff“ steht. Was er vom frühen Profikarriere-Aus seines jüngeren Bruders hält? „Ich kann den Schritt total verstehen. Auch, wenn er es jetzt nicht mehr beruflich macht, Fußball war schon immer sein Leben. Er hat einfach Bock zu kicken, Fußball ganz ohne Druck, nur für den Spaß.“

Jetzt Downloaden!
Seite Drucken nach oben