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SPIELFELD
05.03.2018

Ermin Bicakcic: "Mentalität kannst du nicht lernen"

Ermin Bicakcic spielt seit 2014 für die TSG. Bei Fans und Mitspielern ist er für seinen Einsatzwillen geschätzt, bei gegnerischen Stürmern wegen seiner Kompromisslosigkeit gefürchtet. In SPIELFELD spricht der gebürtige Bosnier über die Bedeutung von mentaler Stärke, die Lust am Zweikampf, die Gründe für sieglose Spiele – und über Typen im modernen Fußball.

Gier nach Erfolg, Einsatzwille, Mentalität – stimmst Du zu, dass das Deine besonderen Stärken sind?

Ermin Bicakcic: "Absolut, vor allem Mentalität ist sicher ein Merkmal, das mich als Spieler und Mensch charakterisiert. Mentalität kannst du nicht lernen. Entweder du bist so ein Typ – oder nicht. Auf dem Platz kannst du zwar durch einige Situationen den Eindruck erwecken 'Der haut sich rein', aber das sind situative Dinge. Bei mir ist es grundsätzlich so, es ist mein Naturell, eine Charaktereigenschaft, die ich einfach ins Spiel einbringe. Man kann es auch nicht von jedem erwarten, es gibt ja ganz verschiedene Charaktere."

Hat Dich das als Fußballer schon immer ausgezeichnet?

Bicakcic: "Es war immer meine Art. Auch, als ich in der Jugend beim VfB Stuttgart noch offensiv gespielt habe. Dieses Bissige habe ich wohl in die Wiege gelegt bekommen. Vielleicht hat es sich aber auch durch meinen persönlichen Werdegang so entwickelt, meine Eltern sind ja nach Deutschland geflüchtet, wir hatten kaum etwas, wir mussten immer kämpfen."

Hattest Du denn immer Spaß an Zweikämpfen?

Bicakcic: (lacht) "Nein, ich bin schon auf den Bolzplatz gegangen, um zu tricksen. Aber ich konnte einfach nie verlieren. Wenn es drauf ankam, wusste ich ganz genau: Wenn technisch nichts geht, habe ich immer einen Joker in der Hinterhand: meine Mentalität. So wurde mir immer bewusster, dass mein unermüdlicher Wille eine Stärke ist. Es wurde immer wichtiger für mich, dass mir nie jemand nachsagen konnte: 'Ermin hat nicht alles gegeben.' Auch wenn das eigentlich normal sein sollte, habe ich in meiner Laufbahn gemerkt, dass das vielen Spielern nicht immer gelingt."

Sind Einsatzwille und Gier nach Erfolg eher Merkmale von Abwehrspielern?

Bicakcic: "Das kann man so nicht sagen. Technikern wie Özil und Kroos oder bei uns Nadiem Amiri und Kerem Demirbay kann man nicht vorwerfen, keine Mentalitätsspieler zu sein, nur weil sie nicht ständig den Rasen umpflügen. Solche Spieler brauchst du einfach, sie geben auch alles für den Sieg, entwickeln ihre Gier aber in anderen Situationen: Zum Beispiel, wenn sie in der 90. Minute einen Freistoß in den Winkel schlenzen. Das sind ihre Momente, und dann erwarte ich von solchen Spielern: Ihr grätscht nicht 90 Minuten, aber seid da, wenn ihr vor dem Tor auftaucht oder den entscheidenden Pass spielen könnt. Am Ende muss alles zusammenpassen: Mentalität Bicakcic im Zweikampf, Gier Demirbay beim Freistoß, Emotion Kramaric beim Hakenschlagen – dann steht am Ende des Tages der Erfolg."

Bist Du stolz auf Deine speziellen Vorzüge?

Bicakcic: "Ich würde nie meinen Typ verändern. Ich habe natürlich auch viel dazugelernt und auch Fehler gemacht. Aber sie sind Teil eines Lernprozesses. Das hat dazu geführt, dass ich mit 28 sagen kann: Ich habe mehr als 100 Bundesligaspiele bestritten und bin ein Typ, der nicht biegbar ist. Es ist enorm wichtig, sich selbst treu zu sein. Wenn ich nach Hause komme und in den Spiegel blicke, muss ich mir in die Augen schauen können. Wenn ich da weggucke, dann stimmt etwas nicht. Das darf niemals sein."

Den Spitznamen "Eisen-Ermin" hast Du Dir redlich verdient. Empfindest Du ihn als Auszeichnung?

Bicakcic: "Am Anfang musste ich schmunzeln, ich hatte nie damit gerechnet, einen Spitznamen zu bekommen. Aber dann habe ich gemerkt, dass in dem Namen ein Kompliment steckt, er also eine Anerkennung für die Arbeit ist, die ich leiste. Deswegen empfinde ich es in jeder Hinsicht als Ehre."

Hast Du dennoch manchmal das Gefühl, dass manche Dich auf den Spitznamen reduzieren und sagen: Der kann ja nur grätschen…

Bicakcic: "Hundertprozentig. Die Leute stecken einen schnell in eine Schublade und stempeln einen ab, weil man harte Zweikämpfe führt. Aber ich stehe ja nicht nur hinten, wie früher die zwei Meter großen Innenverteidiger, schieße jeden Ball hoch nach vorn und befolge den Auftrag, dem Stürmer sprichwörtlich in die Wade zu beißen. Das ist heute gar nicht mehr möglich, der Fußball erlaubt solche Spielertypen nicht mehr. Und ich würde mich selbst niemals als klassischen Ausputzer sehen. Mir ist schon klar, dass ich im Mittelfeld keine Zidane-Tricks mache und anfange, Tunnel zu verteilen. Da bin ich realistisch. Aber ich gehöre auch nicht in die Kategorie Holzfäller, das steht fest."

Zweikämpfer sind insgesamt nicht mehr so gefragt wie früher. Merkst Du, dass Deine Mitspieler aber dankbar sind, Dich im Team zu haben?

Bicakcic: "Ich merke nach Aktionen auf dem Platz, dass ich Reaktionen auslöse. Wenn ich einen harten Zweikampf führe, mich die Techniker danach ansehen und plötzlich auch in die Zweikämpfe fliegen, dann merkt man: Hey, die hab‘ ich mal angestachelt. Da saugen die Jungs dann auch mal Dinge von mir auf. Auch, weil sie sehen, dass sich da hinten ein ehrlicher und korrekter Typ für sie in jedes Duell wirft, damit sie vorne das Spiel für uns entscheiden können. Nach dem Motto: Er kämpft hier für uns, da dürfen wir ihn nicht allein lassen. Das ist ein geiles Gefühl, wenn du so ein Standing hast. Ich genieße es hier wirklich, dass sich die Mitspieler für einen reinhauen. Das ist das Beste, das als Rückzahlung kommen kann, besser als jeder Dank."

In dieser Saison stehen nicht ganz so viele Siege auf der Habenseite. Allzu oft genügte eine Führung nicht zum Erfolg. Hat das auch etwas mit Mentalität zu tun?

Bicakcic: "Das ist nicht so einfach. Du kannst dir einen Plan zurechtlegen, wie du den Gegner bespielen willst, aber der Fußball hat auch mal seine eigenen Pläne. Als Bayern München das Champions-League-Finale gegen Manchester United noch 1:2 verloren hat, lag es sicher nicht daran, dass die Spieler den Erfolg nicht zu einhundert Prozent wollten. Oder dass der Plan falsch war. Da schreibt der Fußball seine eigenen Geschichten. Aber generell ist es diese Saison sicher so, dass wir uns ein bisschen von unserem eingeschlagenen Weg haben abbringen lassen. Und auch nicht immer die Leistung zeigen konnten, die wir eigentlich draufhaben. Wir haben uns zu sehr darauf verlassen, dass wir genug Qualität haben und gedacht: Das wird schon, das haben wir in der Vergangenheit auch hinbekommen. Aber die Vergangenheit zählt nicht mehr. Du musst dich jedes Wochenende neu beweisen, ein neues Kapitel schreiben. Und alles dafür tun, dass am Ende des Kapitels wieder ein Sieg steht. Und da haben wir zu oft darauf gehofft, dass es irgendwie schon gut für uns enden wird."

Habt Ihr daraus gelernt?

Bicakcic: "Ja, denn es darf uns nicht mehr passieren, dass wir von der Maxime abweichen, vom Anfang bis zum Ende alles dafür zu tun, den Sieg einzufahren. Wir müssen nach jedem Spiel zu uns selber sagen können: Wir haben alles Mögliche getan – dann kann man auch mal ein Spiel verlieren, wenn der Gegner einfach besser war. Aber wir haben es phasenweise ein wenig zu locker gesehen, mal nachgelassen und uns zu sehr auf die jeweils anderen verlassen."

Das Credo von Diego Simeone, Trainer von Atletico Madrid, ist: 'Der Einsatz ist nicht verhandelbar.'

Bicakcic: "Genau das ist der entscheidende Punkt. Wenn es technisch nicht läuft, die Übersteiger nicht funktionieren, dann müssen wir zumindest rennen und beißen. Dann erwarte ich auch von den Tricksern, dass sie die Basiselemente des Sports zeigen, dass wir alle gemeinsam kämpfen, hinten helfen und mal wieder ein 1:0 mit allen Mitteln über die Zeit retten.“

Das sind eigentlich urdeutsche Fußball-Tugenden, der DFB hat auf diese Art und Weise WM-Titel gewonnen. Mittlerweile spielen die Deutschen schönen Fußball – mangelt es Deiner Meinung nach aber nun an Siegermentalität?

Bicakcic: "Der Fußball soll schön und ansehnlich sein, aber dass mal einer wie früher in einen reinkracht und mit Adrenalin spielt, das ist etwas verloren gegangen. Das liegt auch daran, dass heutzutage viel weniger echte Typen auf dem Platz stehen. Das sind viele ähnliche Jungs, die alle durch dieselbe Maschinerie gehen. Ich habe das Gefühl, dass die freie Entfaltung, das Bilden einer eigenen Persönlichkeit, oftmals zu kurz kommen."

Woran liegt das?

Bicakcic: "Es werden Verhaltensmuster vorgegeben und du sollst nach einem bestimmten Schema funktionieren, es gibt immer weniger Profis mit Ecken und Kanten. Solche Spieler brauchst du in der Mannschaft aber. Und die Fans wollen sie als Identifikationsfiguren. Aber heutzutage stellen sich viele vor die Kameras und man hat den Eindruck, sie lesen ein Referat von Karteikarten ab. Da redet kaum einer frei Schnauze und zeigt Emotionen, die den Sport ja ausmachen. Das ist für mich dann nicht mehr authentisch."

Einige Talente in Deutschland haben den erhofften Durchbruch in den vergangenen Jahren nicht geschafft. Fehlt angesichts des großen Talents und der Vollversorgung die Gier nach Erfolg?

Bicakcic: "Das hat nichts mit Gier zu tun, du darfst einfach nicht vergessen, wo du herkommst, wer du bist und dass du eine Chance hast, etwas Großes zu erreichen. Von meinen früheren Mitspielern hatten viele Profi-Einsätze und sind kurz danach für immer aus dem Fußball verschwunden. Dafür ist jeder selbst verantwortlich – im Zusammenspiel mit dem Umfeld, dem Verein und der Familie. Denn auch als Klub muss man den Jungs klarmachen: Du bist noch längst kein Bundesliga-Profi, weil du mit deinem Gucci-Beutelchen unterm Ärmchen zum Training kommst. Da muss man die Jungs trotz des Jugendwahns auch mal am Ohr packen und sie auf den Boden zurückholen. Ich musste damals nach jedem Training Bälle putzen, die Hütchen aufräumen und das Material einsammeln."

Hat es Dir geschadet?

Bicakcic: "Im Gegenteil. Heutzutage muss man die jungen Spieler schon mal auffordern, das Tor mitzutragen. Wenn mir früher ein älterer Spieler etwas gesagt hat, war es selbstverständlich, dass ich es mache – dabei war ich ja auch durchaus ein freier Vogel und habe meine Meinung gesagt, wenn mir was nicht gepasst hat. Aber Respekt vor Älteren hat auch etwas mit Erziehung zu tun, das sollte selbstverständlich sein, ich habe es zu Hause nicht anders gelernt. Das heißt nicht, dass man nicht mal diskutieren kann nach dem Training, oder dass die Älteren immer recht haben. Aber die heutige Generation neigt dazu, sich nichts sagen zu lassen und gleich Widerworte zu geben. Das hilft ihnen auf ihrem Weg nicht weiter."

Glaubst Du, ein bisschen mehr Demut täte der Entwicklung der neuen Spielergenerationen gut?

Bicakcic: "Sie alle haben wohl mehr Talent als wir früher und genießen eine viel bessere Ausbildung. Aber damit sie ihren Weg gehen, darf man ihnen nicht alles durchgehen lassen. Man muss unterscheiden zwischen pushen und fördern. Und es ist nicht förderlich, jemanden so zu pushen, dass er über allem schwebt und nicht kapiert, dass er noch hart arbeiten muss, um eine Karriere hinzulegen und sich in der Bundesliga zu etablieren. Da müssen die Vereine in Deutschland drauf achten: Dass die Talente gefördert werden, sie aber nicht den Boden unter den Füßen verlieren. Da müssen der Verein, die Trainer, der Manager, die Berater, die Mitspieler und auch der Zeugwart einschreiten – vor allem den Talenten zuliebe, damit sie nicht von ihrem Weg abkommen. Da muss man die jungen Spieler vor sich selbst schützen."

Zum Spielerprofil von Ermin Bicakcic >>

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