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MÄNNER
08.04.2020

Wie Sportler mit der Coronakrise umgehen

Seit einigen Wochen beherrscht das Corinavirus die weltweiten Schlagzeilen und unser aller Leben. Gerade die Leistungssportler sind von den strengen Ausgangsbeschränkungen stark betroffen. Alle Wettkämpfe wurden auf unbestimmte Zeit verschoben oder gar abgesagt, trainiert werden musste zu Hause oder allein im Freien. Kontakte zu den Trainern und den Teamkollegen konnten nur noch über das Tablet oder Smartphone aufrechterhalten werden. Erst seit dieser Woche trainieren die Spieler der TSG Hoffenheim wieder im Trainingszentrum in Zuzenhausen in kleinen Gruppen über den ganzen Tag verteilt. Prof. Dr. Jan Mayer, seit zwölf Jahren Sportpsychologe der TSG, erklärt im Interview, wie Leistungssportler mit dieser außergewöhnlichen Situation umgehen.

Herr Mayer, inwieweit ist die Coronakrise eine Herausforderung für die Sportpsychologie?

„Einige Kollegen von mir haben sich bereits zur derzeitigen Situation der Leistungssportler zu Wort gemeldet. Hans-Dieter Hermann, mit dem ich seit vielen Jahren zusammenarbeite, hat als Sportpsychologe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft betont, dass die Einschränkung des Trainings und der sozialen Kontakte eine spezielle Belastung für die Sportler darstellen. Für die meisten ist der Drang nach Bewegung viel stärker ausgeprägt als im Rest der Gesellschaft und somit ihr größtes Hobby und Beruf zugleich. Und den Sportlern fehlen die sozialen Kontakte, die in einer Mannschaft sehr intensiv sein können. Aber diesen Mangel erfahren fast alle anderen Menschen genauso, ob Kinder und Jugendliche, denen die Schulklasse oder Vereinsgruppe fehlt, oder die Erwachsenen, die nur noch wenige oder sogar gar keine Kontakte im Berufsleben mehr haben.“

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Entsteht für Profisportler auch ein psychischer Druck aufgrund der Folgen durch die Coronakrise?

„Jeder geht damit unterschiedlich um - so wie es auch bei anderen Menschen verschieden ist. Vielen Topsportlern abseits des Fußballs wurde aktuell auch der Boden unter den Füßen weggezogen, ihnen fehlen die Einnahmen wie Startgelder und Erfolgsprämien. Dagegen sind die Berufsfußballer privilegiert, sie haben Verträge mit festen Laufzeiten und können es sich leisten, auf Teile ihres Gehalts zu verzichten. Aber man erhält den Eindruck in Gesprächen, dass nicht nur die finanziell gut gestellten Fußballer, sondern auch andere Topsportler trotz der Coronakrise insgesamt positiv gestimmt bleiben, ihre Existenzängste also nicht sehr ausgeprägt sind. Sie haben vielleicht ein größeres Vertrauen, dass sie diese Krise meistern, weil sie oft vor schwierigen Herausforderungen stehen, die sie mit ihrem Leistungswillen überwinden müssen. Ein gut ausgeprägtes Selbstvertrauen ist das beste Gegenmittel in einer Zeit, die von vielen Ungewissheiten geprägt ist.“

Durch welche speziellen Aspekte entstehen in der Coronakrise Sorgen oder sogar Ängste bei Sportlern und inwieweit ist das auf andere Kreise der Bevölkerung zu übertragen?

„Nicht alle Sportler blicken weiterhin zuversichtlich in die Zukunft, auch wenn sie eine gewisse Unsicherheit gewohnt sind. Sie befinden sich eben auch in einer Ausnahmesituation, die sie mit völlig neuen Problemstellungen konfrontiert. Der Alltag eines Sportlers ist über das ganze Jahr hinweg streng durchgetaktet: Trainingslager, Wettkampfphasen, Spieltage, usw. All das hat sich seit Mitte März von einem auf den anderen Tag verändert, tägliche Routinen können nicht mehr aufrechterhalten werden und strukturgebende Orientierungspunkte sind aufgelöst. Das kann beispielsweise zu innerer Unruhe oder dazu führen, persönlicher Ziele infrage zu stellen. Einen komplett veränderten Alltag in Beruf und engster persönlicher Umgebung, der von den bisherigen Gewohnheiten sehr stark abweicht, erfahren aktuell Millionen von Menschen. Insofern unterscheiden sich Sportler in diesem Punkt nicht von Nichtsportlern.“

Dass die Profifußballer in den allermeisten Fällen finanziell gut abgesichert sind, haben Sie angesprochen. Aber müssen nicht auch von ihnen einige größere Sorgen haben? Und wo liegen die Gründe dafür, dass Sportler aus anderen Sportarten zahlreicher unruhig in die Zukunft blicken?

„Wenn die Zukunft mit finanziellen Ungewissheiten verbunden ist, geht es für jeden an die Existenz. Das halten nur wenige Menschen, die psychisch sehr stabil sind, unbeeindruckt aus. Im deutschen Profifußball sehen sicherlich viele Spieler, speziell aus der 2. und 3. Liga, die aktuelle Lage nicht mehr locker. Wie in der Sportfachpresse zu lesen war, droht scheinbar immerhin 13 der oberen 36 Profiklubs die Insolvenz. Wenn ein Verein Kurzarbeit anmeldet, dann kann man das eventuell als Alarmsignal verstehen. Individualsportler wie Leichtathleten, Radrennfahrer, Schwimmer, Triathleten oder Tennisspieler, die nichts verdienen ohne Wettkämpfe, werden sich auch fragen, ob ihre Werbeverträge noch wie vereinbart verlängert werden. Das sind alles Probleme, denen sich Sportler im Moment stellen müssen und sie belasten. Zu den Sorgen um finanzielle Einbußen kommt die Unsicherheit um die eigene körperliche Leistungsfähigkeit noch hinzu. Bislang sind nahezu alle Trainingszentren geschlossen, wer kein Home-Fitnessstudio hat, kann in Sachen Fitness an seine Grenzen stoßen. Immerhin da zeichnet sich ja jetzt eine Lösung für Berufssportler ab. Aber all das natürlich können Gründe sein für Sportler, die stets unter einem hohen Leistungsdruck stehen, an Unruhe und Zukunftssorgen zu leiden. Sie wissen zudem nicht mehr, wo sie im dauerhaften Zustand der Konkurrenz stehen. Kommt die Konkurrenz vielleicht besser zurecht und gewinnt in der Krise einen Vorsprung? Auch solche Gedanken können Sorgen auslösen.“

Gibt es Bewältigungsstrategien, um mit den Sorgen, die durch die Coronakrise entstehen, fertig zu werden? 

„Um an diesen neuen Problemen nicht zu verzweifeln, gibt es verschiedene Strategien, wie man mit der Situation umgehen kann. Da alle bisherigen Routinen wegfallen oder sich stark verändert haben, gilt es, sich neue Ziele zu setzen, vielleicht auch ganz unabhängig vom Sport. Man kann Pläne entwerfen, um den Tagen zu Hause eine neue Struktur zu verschaffen. Auf diese Weise kann man sich auch gut davon ablenken, was alles derzeit nicht möglich ist und was man jetzt eigentlich machen würde. Man hat Zeit für Dinge, für die man sonst nie Zeit hat. Dies sollte man als Luxus bewerten. Gerade für Mannschaftssportler kann der mangelnde Kontakt zum Team belastend sein. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass dennoch miteinander kommuniziert wird und die Gemeinschaft nicht auf der Strecke bleibt. Möglichkeiten sind beispielsweise gemeinsames Training per Videokonferenz. So kann nicht nur der Trainer die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit überwachen, sondern auch das Team sich austauschen. Das mentale Training gewinnt aktuell auch noch mehr an Bedeutung, da es einerseits die Bewältigung der psychisch belastenden Situation erleichtern soll und andererseits den Krisen bedingten Trainingsverlust minimieren kann. Im Leistungssport wird es als Trainingstool schon länger in Verletzungspausen verwendet, um den praktischen Trainingsausfall zu überbrücken. Die derzeitige Lage ist somit nichts anderes als eine Zwangspause, somit lässt sich das mentale Training einer Rehabilitationsphase auf die derzeitige Situation gut übertragen. Denn mentales Training ist besser als überhaupt kein Training.“

Liegt in der Coronakrise vielleicht auch eine Chance?

„Sie kann genutzt werden, um über alles nachzudenken. Wo stehe ich jetzt und wo möchte ich hin? Was ist meine Haltung zu bestimmten Dingen? Gibt es noch andere Ziele, die ich erreichen möchte und wie erreiche ich diese? Was machen erfolgreichere Athleten anders und wie kann ich mich selbst noch verbessern? Welche kleinen Dinge wollen auch gesehen und beachtet werden, für die sonst nie Zeit ist? Diese positive Sichtweise soll nicht die Ernsthaftigkeit der Krise schmälern, sondern Vertrauen und Hoffnung schenken, dass es auch eine Zeit nach der Corona-Krise gibt und durchaus die Möglichkeit besteht, gestärkt daraus hervorzugehen. Ich habe eingangs meinen Freund Hans-Dieter Hermann erwähnt und möchte ihn jetzt noch einmal zitieren: ‚Vertrauen ist das beste Gegenmittel in einer Zeit, in der man nicht so viel weiß.‘“

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