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AKADEMIE
03.04.2020

Nicklas Dietrich: Nach der Pause fußballfit sein

Die TSG-Akademie hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur als Talentschmiede einen ausgezeichneten Ruf erworben, sondern auch was die Ausbildung junger Trainer angeht. Ein Beispiel ist Nicklas Dietrich, der von 2007 bis 2013 Athletiktrainer der U19 und im Anschluss zwei weitere Jahre bei den TSG-Profis war. Heute ist der 37-Jährige einer von zwei hauptamtlichen Athletiktrainern der deutschen Nationalmannschaft. Achtzehn99.de sprach mit dem Sportwissenschaftler über die Arbeit beim DFB, seine Beziehung zur TSG und über das Heimtraining während der Corona-Krise.

Nicklas, die wichtigste Frage vorweg: Wie geht es Dir und Deiner Familie?

Nicklas Dietrich: Uns geht es sehr gut, auch wenn die Situation für alle neu und ungewöhnlich ist. Glücklicherweise gibt es weder in meinem Verwandten- noch im Bekanntenkreis einen Corona-Fall.

In der Regel pendelst Du zwischen Deinem Wohnort Leipzig und der DFB-Zentrale in Frankfurt. Wie sieht es momentan aus?

Dietrich: Da ich in Frankfurt meinen Zweitwohnsitz habe, könnte ich sogar problemlos weiter pendeln. Tatsächlich arbeite ich aber derzeit im Homeoffice in Leipzig. Stand heute bis nach Ostern, das kann sich aber natürlich noch verlängern.

Wie müssen wir uns Deine Arbeit unter normalen Umständen vorstellen?

Dietrich: Mein Job ist in zwei Bereiche geteilt. Zum einen bin ich als Athletiktrainer der A-Nationalmannschaft bei allen Maßnahmen von Herbst bis Frühjahr dabei und im Sommer bei den großen Turnieren – sofern es welche gibt. Wir haben fest eingeplante Zeiten und viel Kontakt zu den Athletiktrainern der Bundesligavereine, um die Spieler außerhalb der DFB-Maßnahmen gut im Auge zu behalten und das Training besser vor- und nachbereiten zu können.

Und der zweite Teil?

Dietrich: Ich bin darüber hinaus der DFB-Akademie zugeteilt und kümmere mich hier in der Abteilung „Performance, Technologie und Innovation“ um verschiedene Fußballprojekte, wie etwa der Datenharmonisierung bei GPS-gesteuertem Training, wo bislang die Vereine unterschiedliche Systeme nutzen. Gemeinsam mit Kruno Banovcic, der als Fitnesscoach die U-Teams koordiniert, bin ich zudem in der Lehre tätig. Das bedeutet, dass wir unter anderem beim Fußballlehrer-Lehrgang den Athletiktrainer-Part übernehmen und unsere Idee von Fußballfitness synchronisieren. Wir möchten in Abstimmung mit den Verbandssportlehrern eine durchgängige Lehre etablieren und ordentliche Strukturen schaffen. Daher absolviere ich aktuell auch gerade die „normale“ Trainer-A-Lizenz. Außerdem fungieren wir als Schnittstelle zwischen den einzelnen Abteilungen der Akademie, wie zum Beispiel Ernährung, Psychologie und Big Data. Ziel der Akademie ist es, in allen Bereichen einen größeren Praxisbezug herzustellen.

Jetzt arbeitest Du wie viele andere auch im Homeoffice. Wie groß ist die Umstellung?

Dietrich: Die Projekte laufen normal weiter, das Theoretische wird ohnehin in Heimarbeit erledigt. Leider fällt der Praxisteil komplett weg, was ich sehr bedaure, weil mir gerade die Arbeit auf dem Platz und die Vereinsbesuche mit dem damit verbundenen persönlichen Austausch sehr wichtig sind. Dietrich: Ich mag’s einfach gerne draußen. Das war zwölf Jahre lang mein Business. Im Moment legen wir einen größeren Fokus auf das Bespielen von Social-Media-Kanälen, die wir mit Trainingstipps befüllen, und versorgen unsere Spieler mit Infos und Hilfsmitteln, die über das normale Athletiktraining hinausgehen.

Zum Beispiel?

Dietrich: Wir organisieren über unsere Partner Hometrainer oder stellen den Spielern Apps zur Verfügung, mit denen sie sich kompakt in allen Wissensbereichen fortbilden können. Wir möchten sie mit vielfältigen Angeboten umfangreich unterstützen.

Seit Mittwoch ist Joachim Löw der weltweit dienstälteste Trainer einer Fußball-Nationalmannschaft. Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Bundestrainer?

Dietrich: Jogi ist ein sehr angenehmer Mensch, der einen ganz klaren Blick auf den Fußball hat. Was ich besonders an ihm schätze ist, dass er sehr prinzipientreu ist. Wenn etwa der A-Kader montags zusammenkommt, werden alle Spieler geschont, die am Samstag und Sonntag im Einsatz waren. Die zwei Tage nach und vor einem Spiel sind heilig und stehen ganz im Zeichen der Regeneration. Dazwischen wird den Jungs physisch alles abverlangt. Ein Ziel der Nationalmannschaft ist es, am Spieltag zu performen und die Nation gut zu repräsentieren. Das andere, die Spieler wieder gesund zu ihren Vereinen zu schicken. Ich bin davon überzeugt, dass man mit festen Prinzipien immer gut fährt.

Du bist 2007 mit gerade mal 24 Jahren zur TSG gekommen, hast Dich erst drei Jahre um die U17 und die U19 und im Anschluss drei Jahre ausschließlich um die Fitness der U19 gekümmert. Von April 2013 bis Juni 2015 warst Du im Profi-Stab. Welche Erinnerung hast Du an diese Zeit?

Dietrich: Die Zeit bei der TSG hat mich unglaublich geprägt und war einer meiner wichtigsten Entwicklungsschritte. Ich war ja zu Beginn noch ein Jungspund. Das bodenständige Arbeiten im Nachwuchsbereich, wo ich sehr viel experimentieren und mich selbst ausprobieren durfte, war von enormer Bedeutung. Unter Bernhard Peters in der Akademie und später auch unter Alexander Rosen bei den Profis habe ich immer ein hohes Maß an Vertrauen verspürt.

Mit welchen Hoffenheimern stehst Du noch in Kontakt?

Dietrich: Viele Kollegen, mit denen ich damals zusammengearbeitet habe, sind nicht mehr da. Mit Athletiktrainer Christian Weigl, Präventivtrainer Christian Neitzert und Leistungsdiagnostiker Dr. Sascha Härtel stehe ich in meiner aktuellen Funktion in regelmäßigem Austausch. Mit anderen gibt es auch hin und wieder Kontakt, zum Beispiel mit Torwarttrainer Michael Rechner, mit dem ich mehrere Jahre Teil des U19-Stabs war. Es ist auch cool zu sehen, wie ein Kai Herdling als ehemaliger Spieler nun seinen Weg als Trainer geht.

Kommen wir auf die Corona-Krise zu sprechen. Derzeit kursieren im Netz jede Menge Videos mit Tipps, wie wir uns zu Hause fithalten können. Werden wir jetzt alle zu Fitnessexperten?

Dietrich: Das muss man differenziert betrachten und kommt auf den Adressaten an. Profis und Hochleistungssportler benötigen keine Anleitungen, wie sie auch privat ihr Fitnesslevel halten können. Für den Breiten-, Hobby- und Gelegenheitssportler macht es hingegen Sinn, wenn er sich hier ein paar Tipps abholen kann.

Du hast vorhin von „Fußballfitness“ gesprochen. Welche Tipps hättest Du für unsere Spieler parat?

Dietrich: Ich glaube sie sind bei euch in besten Händen, da braucht es keine klugen Ratschläge. Allgemein gilt: Gerade jetzt, wenn nicht gemeinsam auf dem Platz trainiert werden kann, ist die richtige Steuerung von hoher Bedeutung. Die Spezialtrainer müssen sich mehr denn je mit dem Chef abstimmen und gute Pläne entwickeln, dass die Fitnessläufe und Kraftübungen im Einklang mit dem stehen, was später wieder auf dem Platz passiert. Wenn es nach der Pause wieder losgeht, geht es direkt von null auf hundert in vielen englischen Wochen weiter. Dann müssen die Spieler „fußballfit“ sein, das heißt die Laktatwerte und andere sportwissenschaftliche Parameter sind erstmal nachrangig. Stattdessen geht es darum, unverletzt durch diese intensive Phase zu kommen. Daher wäre es jetzt ratsam, fußballspezifische Abläufe zu intensivieren und widerzuspiegeln: kurze und schnelle eng aufeinander folgende Aktionen, Laufen in verschiedenen Tempi, also gehen, joggen, sprinten, bremsen, starten, Richtungswechsel und Kraftübungen einbauen.

Nun hat nicht jeder zu Hause dieselben Möglichkeiten. Wie würdest Du priorisieren?

Dietrich: An erster Stelle steht alles Fußballspezifische, so viel es geht mit dem Ball arbeiten. Dann Läufe machen, die die Basisbewegungen des Fußballs enthalten. Wer drinnen bleiben muss, sollte in verschiedenen Geschwindigkeiten auf dem Laufband trainieren und wem das nicht möglich ist, der sollte aufs Fahrrad steigen. Es wird interessant sein, zu beobachten, wie sich nach dieser Flickenteppich-Periode die Verletzungsstatistiken entwickeln und wer es schafft, sich in diesem Zeitraum am besten darauf vorbereiten, alle zwei bis drei Tage 90 Minuten spielen zu müssen. Zumal die Spieler ja aktuell nicht auf physiotherapeutische Behandlung zurückgreifen können, die ihnen das Training erleichtert.

Bei allem Heim-Trainingseifer: Wieviel Fitness geht in diesen ungefähr sechs bis acht Wochen verloren?

Dietrich: Das kann niemand vorhersagen. Alle trainieren fleißig weiter, die einen machen es besser, die anderen schlechter. Es werden in dieser Zeit jede Menge Best-Practice-Beispiele entstehen, die zeigen, wie man fußballfit durch englische Wochen kommt. Entscheidend ist, dass die Spieler jetzt keine Pause machen, das Spannungsniveau aufrecht und die taktische Schulung auf Trab halten. Wenn die Saison – sofern es möglich ist – zu Ende gespielt ist, wird die Erholungspause wichtiger denn je sein.

Wäre es zu kurz gedacht, zu behaupten, dass die Chancengleichheit gewahrt bleibt, weil ja alle Mannschaften denselben Nachteil haben?

Dietrich: Jeder versucht, das Beste aus der aktuellen Situation zu machen. Eine Beurteilung, inwieweit diese Zwangspause eine Wettbewerbsverzerrung darstellt, ist schwierig. Die Unterschiede zu einer möglichen Entwicklung ohne Corona werden schwer zu messen sein, weil Fußball kein rein physischer, sondern in erster Linie ein Skill-Sport ist, in dem der herausragende Spieler Fitnessnachteile kompensieren kann. Es ist ja gerade das Spannende an dieser Sportart, dass sie multifaktoriell und somit kaum vorhersehbar ist. Vieles wird auch davon abhängen, wie gut die mannschaftsinternen Prozesse weiterlaufen, wie gut die Teams in dieser Phase zusammenwachsen, wie gut die Kommunikation verläuft oder wie gut der Trainer weiterhin seine Philosophie verständlich machen kann.

Abschlussfrage: Welche persönlichen Ziele hast Du Dir für die nahe Zukunft gesteckt?

Dietrich: Das Wichtigste: gesund bleiben. Dann hat man auch für alle anderen Ziele die besten Voraussetzungen. Auf beruflicher Ebene hängt momentan viel davon ab, wann der Ball wieder rollen wird und wir mit den Spielern arbeiten können. Daher nutze ich die Zeit bis dahin, um ein paar konzeptionelle Projekte voranzutreiben. Etwa mit der DFB-Akademie entstehen gerade total spannende Möglichkeiten für den Spitzenfußball in Deutschland. Persönliches Ziel bleibt natürlich die EM 2021 und ein hoffentlich gutes Abschneiden mit unserer hochmotivierten Truppe.

 

Zur Person

Artikel vom April 2013.

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