Alle Ergebnisse TSG eSPORTS TSG IST BEWEGUNG TSG Radio
CAMPUS
14.07.2017

Pellegrino Matarazzo: Der Weg des Pilgers führt nach Hoffenheim

Elf Jahre lang stand Pellegrino Matarazzo in Diensten des 1.FC Nürnberg, die letzten vier als Junioren-Chefcoach. Seit dem 1. Juli ist der gebürtige US-Amerikaner als Nachfolger des in die U19 aufgerückten Marcel Rapp Trainer der Hoffenheimer U17. Achtzehn99.de erzählt die interessante und abenteuerliche Lebensgeschichte des 39-Jährigen.

Als Sohn italienischer Einwanderer wurde „Rino“ Matarazzo am 28. November 1977 in Wayne im US-amerikanischen Bundesstaat New Jersey geboren, wuchs aber im angrenzenden Paterson auf. Seine Eltern – der Vater stammt aus der Nähe von Avellino, die Mutter aus einem kleinen Dorf bei Salerno – hatten sich in der italienischen „Community“ von Paterson kennengelernt. „Von einem kleinen Hügel aus waren die Hochhäuser von Manhattan zu sehen“, erinnert sich Matarazzo an seinen Heimatort.

Vom Vater mit dem Fußball-Virus infiziert

Matarazzo wuchs in einfachen Verhältnissen auf. „Mein Vater war Automechaniker und meine Mutter Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Sie haben mit bescheidenen Mitteln versucht, mir und meinen drei jüngeren Brüdern ein ordentliches Leben zu ermöglichen“, sagt Matarazzo, der eine strenge Erziehung erfuhr. „Ich hatte nur wenig Kontakt zu US-amerikanischen Kindern, weil meine Eltern wollten, dass ich mich im Kreis der Großfamilie oder zumindest in der italienischen Gemeinschaft bewege. Sie hatten Angst, mich loszulassen.“ Matarazzo hat 45 Cousins und Cousinen ersten Grades und besuchte regelmäßig die Großeltern in Italien. Die Strenge seiner Eltern rührte unter anderem daher, dass er als Junge schwer zu kontrollieren war. „Für meine Brüder war ich jedenfalls eine Art Wegbereiter, sie hatten es dann etwas leichter.“

Der Fußball spielte in den USA in dieser Zeit eine untergeordnete Rolle und wurde sogar als „Mädchensport“ verspottet. Der junge Pellegrino probierte zwar auch die typisch US-amerikanischen Sportarten aus, doch sein Vater, ein Fan des SSC Neapel, hatte seinen Sohnemann längst mit dem Calcio-Virus infiziert. „Es war die Zeit, als Diego Maradona für Napoli spielte. Wir haben sonntags früh im Bett die Spiele geschaut und waren auch in einem Napoli-Fanklub in Paterson.“

Studium an der Elite-Uni Columbia

Erst mit zwölf trat er einem kleinen Verein bei, bis dahin hatte er meistens nur mit den Brüdern im Garten seiner Eltern oder im nahegelegenen Park auf einem Mehrzweckfeld gekickt. „Da gab es nicht mal Netze.“ Von einer professionellen Ausbildung waren die Gebrüder Matarazzo meilenweit entfernt, trainiert wurden sie vom Vater.

Nach der siebten Klasse zog die Familie in den Nachbarort Fair Lawn, wo Pellegrino Matarazzo erfolgreich die High School abschloss und das Abitur mit umgerechnet 1,0 bestand. Diese Abschlussnote und seine nicht ganz im Verborgenen gebliebenen fußballerischen Fähigkeiten bescherten ihm einen Grant, also eine staatlich finanzierte Unterstützung für ein Studium an der Columbia University, die gemeinsam mit anderen elitären Universitäten wie etwa Yale oder Harvard zur renommierten „Ivy League“ gehört und eben diese Unterstützung für Matarazzo anforderte.

Die Columbia befindet sich direkt am Broadway, Matarazzo lebte von seinem 17. bis zum 21. Lebensjahr in New York City, fühlte also den Puls der Millionenmetropole hautnah. „Das war eine unbeschreibliche Erfahrung“, sagt er heute über diese Zeit, in der er „Angewandte Mathematik“ studierte und auch seinen Abschluss machte. Selbstverständlich spielte er für das Fußballteam der Columbia Lions in der „Ivy League“. „Wir hatten sogar einen deutschen Trainer“, sagt er schmunzelnd. „Er sagte nur: ‚Nennt mich Dieter‘ und ich verstand nicht, warum er nicht beim Nachnamen genannt werden wollte.“ Der gebürtige Bremer Dieter Ficken hatte sich als Spieler der „German American Soccer League“ einen Namen gemacht und sogar ein Länderspiel für die USA bestritten.

Nein zur Büro-Karriere, Ja zu Deutschland

Zu den Spielen der Lions verloren sich lediglich 400 bis 500 Zuschauer auf den Rängen. „Unser Stadion und die Trainingsplätze befanden sich in der Bronx, wir haben immer geschaut, dass wir zügig von der U-Bahn auf die Anlage kommen“, so Matarazzo, der im offensiven und defensiven Mittelfeld spielte und von einer Karriere in der Heimat seiner Eltern träumte. Obwohl es Anfragen gab, ins Geschäftsleben einzusteigen und für eine Investmentbank zu arbeiten, setzte der damals 23-Jährige alles auf die Karte Fußball. Ein windiger Berater hatte ihm Probetrainings beim italienischen Zweitligisten Salernitana und bei Juve Stabia (Dritte Liga) in Aussicht gestellt, doch das Versprechen verpuffte.

Matarazzo kehrte mit ungewisser Zukunft in die USA zurück, wollte aber nicht aufgeben. Eines Tages, beim Freizeitkick in einem Park in Paramus, New Jersey, sprach ihn ein in den USA lebender deutscher Scout an. Deutschland statt Italien, Eintracht Bad Kreuznach statt Salerno, Oberliga Südwest statt Serie B. „Aber ich wollte es unbedingt probieren und professionelle Strukturen kennenlernen. Meine Eltern haben mich dabei unterstützt, was mir die Entscheidung erleichtert hat.“ Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, schlug Matarazzo 2000 seine Zelte in Deutschland auf – und hat sie bis heute nicht mehr abgebaut.

Knallhart im Zweikampf, Karriereende mit 32

Die anfängliche Sprachbarriere und die vergleichsweise schlechte fußballerische Ausbildung waren zu Anfang ein großer Nachteil, aber Matarazzo biss sich durch. „Ich war durchschnittlich schnell und technisch nicht immer ganz sauber, hatte aber ein gutes Auge und war knallhart im Zweikampf“, so seine Selbsteinschätzung. Mit seiner Körpergröße von 1,98 Metern verschaffte er sich im Mittelfeld Respekt und wechselte bald zum SV Wehen in die Regionalliga, wo es auch zu Duellen mit der TSG Hoffenheim kam.

Sein laufintensiver, über die Schmerzgrenze hinausgehender Spielstil brockte ihm frühzeitig Operationen am Knie und einen Knorpelschaden ein. Über die Stationen Preußen Münster und SG Wattenscheid 09, für die er sogar ein DFB-Pokal-Spiel bestritt (1:3 gegen Werder Bremen), landete er im Sommer 2006 schließlich beim 1.FC Nürnberg. Der Kontakt war über den Sportlichen Leiter des FCN, Dieter Nüssing, zustande gekommen, der ihm einen Dreijahresvertrag für die U23 anbot und eine Weiterbeschäftigung nach der aktiven Laufbahn in Aussicht stellte. „Zu diesem Zeitpunkt war mir schon klar, dass ich Trainer werden will“, sagt Matarazzo, der bald Spieler-Co-Trainer beim „Club“ wurde, Scheine sammelte und 2009 mit nur 32 Jahren seine aktive Laufbahn beenden musste. Heute blickt er immerhin auf 142 Regionalliga-Einsätze zurück.

Seit fünf Jahren Cheftrainer

In Nürnberg wurde Matarazzo sesshaft. Seine Frau Daniela, die er in Wehen kennengelernt hatte und die ebenfalls US-amerikanische Wurzeln hat, war ihm ins Frankenland gefolgt, sein heute siebenjähriger Sohn Leopoldo wurde hier geboren. „Wenn man sich für den Trainerjob entscheidet, birgt das Risiken. Ich bin aber ein sehr ehrgeiziger Mensch und war bereit, diese Risiken einzugehen.“

Beim „Club“ übernahm Matarazzo alle Aufgaben, die er kriegen konnte, war Athletik- und Reha-Trainer, machte eine Ausbildung zum Life-Kinetik-Coach, übte das Amt des Eliteschul-Koordinators aus, erarbeitete ein Übergangskonzept für Top-Talente – wie etwa Marvin Plattenhardt, Philipp Wollscheid, Timothy Chandler oder Niklas Stark – und war für kurze Zeit für die sportpsychologische Betreuung der Spieler im NLZ verantwortlich. „Ich bin in keinem dieser Gebiete Experte, habe mir aber alles so gut es geht angelernt und von allem etwas mitgenommen. Ich habe einen Einblick in alle Bereiche bekommen. Ich bin der Meinung, dass das meinem Ziel, Cheftrainer zu werden, zuträglich war.“ Zumal er mit Andreas Beck (heute Athletiktrainer Borussia Dortmund) und Andreas Schlumberger (heute Athletiktrainer FC Bayern München) nicht die schlechtesten Lehrmeister hatte.

Zimmerkollege von Julian Nagelsmann

In der Saison 2012/13 trat er seinen ersten Posten als Chefcoach an und führte die B-Junioren des FCN in der Bundesliga auf Platz drei. Ein Jahr späte wurde ihm bereits die U19 übertragen, mit der er von der Bayern- in die Bundesliga aufstieg und nie schlechter als Siebter wurde. „Ich nehme meine Spieler immer mit ins Boot und denke, mit verschiedenen Charakteren umgehen zu können“, sagt Matarazzo, der es als Vorteil betrachtet, drei verschiedene Kulturen kennengelernt zu haben und sowohl in einer sozial schwachen Gegend als auch in einem akademischen Umfeld aufgewachsen zu sein.

Im Sommer 2015 startete Matarazzo seine Ausbildung zum Fußball-Lehrer und teilte sich in Hennef ein Zimmer mit Julian Nagelsmann, den er bereits aus den Duellen in der A-Junioren-Bundesliga kannte und zu dem er schon vorher ein freundschaftliches Verhältnis pflegte.

Jetzt also Hoffenheim. „Nach elf Jahren Nürnberg ist es für mich Zeit, einen Tapetenwechsel vorzunehmen. Hier habe ich hervorragende Möglichkeiten und ich möchte Stillstand vermeiden“, sagt der lernwillige Coach. Matarazzo hat einen Zweijahresvertrag bei der TSG unterschrieben, seine Familie ist noch in Nürnberg.

Bei der WM 1994 live dabei

Seit knapp zehn Tagen befindet sich Matarazzo mit seiner U17 in der Vorbereitung. „Meine Eingewöhnungszeit ist fast vorbei. Ich habe mich intensiv mit den Jungs und dem Kader beschäftigt und bin im Kraichgau angekommen“, versichert er. Für eine Prognose ist es natürlich zu früh, aber klare Vorstellungen, wie er Fußball spielen lassen will, hat der 39-Jährige durchaus. „Wir wollen in allen Phasen des Spiels aktiv sein, den Gegner auf dem Platz steuern und das Spiel dominieren. Klar, das möchten viele Mannschaften, aber die Unterschiede liegen im Detail.“

1994, als die Fußball-WM in den USA ausgetragen wurde, war Matarazzo gerade mal 16 Jahre jung. „Keine Frage, ich habe mit Italien mitgefiebert“, gibt er zu. Die Spiele der Azzurri gegen Irland in East Rutherford (0:1) und das Achtelfinale gegen Nigeria in Foxboro (2:1 nach Verlängerung) hat er live im Stadion gesehen. „Roberto Baggio hat gegen Nigeria das Siegtor geschossen“, erinnert er sich noch sehr genau. Il divin’ codino, das goldene Zöpfchen, wie der Stürmer wegen seiner extravaganten Frisur genannt wurde, war sein Idol.

Knapp 17 Jahre sind vergangen, seit Pellegrino, was im Deutschen passenderweise „Pilger“ bedeutet, über den Großen Teich gekommen ist und sein Glück in Europa gesucht hat. Fast die Hälfte seines Lebens hat der Italo-Amerikaner, der beide Pässe besitzt, also in Deutschland verbracht. Da drängt sich die Frage auf: Welcher Nation fühlt er sich zugehörig? „Das kann man jetzt nicht einfach so in Prozent ausdrücken. Ich versuche, die besten Eigenschaften von allen Kulturen mitzunehmen. Von den US-Amerikanern habe ich das positive Denken und den Glauben, dass man alles schaffen kann. Von den Italienern das Temperament, ich kann sehr emotional werden. Und von den Deutschen Ordnung, Struktur und Disziplin.“

Die nächste Station in seinem Trainerleben hat gerade erst begonnen. Doch der Weg des ambitionierten Fußballlehrers ist noch lange nicht zu Ende. Das macht der Blick auf seinen bisherigen Werdegang mehr als deutlich.

Jetzt Downloaden!
Seite Drucken nach oben