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SPIELFELD
21.03.2016

Jiloans Reisen

Geboren als Sohn kurdischer Eltern aus dem Nordirak in einem Gefängnis in Baku, aufgewachsen im schwedischen Örebro, nach seiner Ankunft in Deutschland später in Richtung Belgien gewechselt: Mit 26 Jahren kann Jiloan Hamad auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Bei der TSG Hoffenheim hat er nun seine sportliche Heimat gefunden.

Jiloan Hamad hat einen weiten Weg hinter sich. Nicht bloß aus der Reha zurück auf den Rasen, sondern vor allem aus seiner Geburtsstadt Baku nach Hoffenheim. In der Hauptstadt Aserbaidschans wurde der Schwede, der auch Ausweispapiere des Irak besitzt, 1990 geboren – unter bemerkenswerten Umständen. Aserbaidschan war damals noch eine Teilrepublik der Sowjetunion. Seine Eltern, die aus dem von Kurden bevölkerten Nordirak stammen, und seine kleine Schwester waren nach Baku geflüchtet.

"Mein Vater war Soldat, Freiheitskämpfer der Peschmerga, die heute gegen den Islamischen Staat kämpfen. Damals kämpften sie gegen Saddam Hussein", schildert Jiloan Hamad einen Teil seiner bewegten Familiengeschichte. "Mein Vater war Kommunist und wurde im Irak verfolgt. Da er vorher schon öfter in Russland war und die Russen die Kurden unterstützen, flüchtete er mit meiner Mutter, die mit mir hochschwanger war, und meiner einjährigen Schwester nach Baku."

Geburt im Gefängnis

Doch die Sowjets waren zunächst skeptisch. "Sie wollten meinen Vater erst überprüfen. Also steckten sie meine ganze Familie zuerst ins Gefängnis. Sie sollte dort auf ihre Papiere warten." Es war kein Hochsicherheitsgefängnis. "Aber wir waren eingesperrt. Ich kann eigentlich sagen, ich bin im Gefängnis geboren worden.“ Seine Mutter habe man zur Geburt dort ins Hospital gebracht. Danach ging die Odyssee der nun vierköpfigen Familie Hamad weiter.

Wenig später waren die Sowjets überzeugt, dass Jiloans Vater die richtige Gesinnung hatte. Die Familie durfte nach Moskau übersiedeln, wo ein Onkel mit einer Russin verheiratet war. Es war keine Heimat – das wurde Schweden. "1992 sind wir dann nach Örebro gegangen", erzählt Hamad. "Meine Eltern leben immer noch dort, aber sie haben auch ein Haus im Nordirak gekauft, wo sie jeden Winter hinreisen und ich sie manchmal besuche."

"Mein Vater hat das großartig gemacht"

Die Nationalitätenfrage ist für Jiloan kein Problem. "Ich bin natürlich Kurde, ich kann aber ich nicht sagen, dass ich es zu einhundert Prozent bin. Ich liebe Schweden, das ist mein Land. Ich bin stolz, dass ich Schweden im Fußball repräsentieren darf. Ich bin also ein Schwede mit einem kurdischen Background. Sportlich verdanke ich Schweden alles", erklärt der 26-Jährige. Seine Eltern arbeiteten aktiv daran, dass ihre Kinder in die Gemeinschaft in Örebro hineinwuchsen.

"Mein Vater hat immer Wert darauf gelegt, dass wir alle uns sehr gut integrieren. Er sagte mir und meinen Schwestern: 'Vergesst unsere Traditionen nicht, aber vergesst auch nicht, dass ihr nun Schweden seid.' Er hat dafür gesorgt, dass wir als Muslime, die aber nicht sehr religiös sind, nie eine Extrabehandlung in der Schule oder beim Essen bekommen haben. Ich verstehe heute, wo so viel über die Integration der Flüchtlinge gesprochen wird, noch viel besser, wie großartig mein Vater das gemacht hat. Ich habe den Hintergrund von zwei wunderbaren Kulturen und lebe diesen Mix."

Als er im Winter 2014 nach Deutschland kam, erweiterte er seine multikulturellen Kenntnisse um ein weiteres Land. Bei der TSG hat er eine neue – wenn auch nur sportliche – Heimat gefunden. Dass die vergangenen zwei Jahre von Rückschlägen wie der Ausleihe zu Standard Lüttich und einem Kreuzbandriss begleitet waren, hat die Bindung zum Club dabei extrem verstärkt: "Für mich ist Hoffe jetzt mehr als nur ein Verein."

Die TSG? Klub mit Größe und Herz

Die emotionale Bindung zur TSG resultiert vor allem aus den Ereignissen unmittelbar nach der schlimmen Knieverletzung, die er 2015 in Belgien erlitt. Ein Schock für Hamad – doch ein Anruf des Hoffenheimer Teamarztes Thomas Frölich sorgte für Zuversicht: "Der Doc sagte, wir haben gehört, was dir passiert ist. Bei der TSG wollen wir nur das Beste für dich. Komm zurück, Jiloan." Hamad wird das Gespräch nicht vergessen: "Ich hatte noch vier Monate einen Vertrag mit Lüttich, aber Hoffenheim nahm mich mit offenen Armen wieder auf. Sie haben sich um mich gekümmert. Sie haben mich zur Operation bei einem Spezialisten nach Straubing geschickt, sie hatten jeden Tag einen Plan für mich in der Reha. Alles war organisiert", erklärt Hamad die Ereignisse aus dem Vorjahr. Und fügt an: "Der Klub hat wirklich Größe und Herz bewiesen. Jetzt bin ich in der Phase, in der ich etwas zurückgeben will."

Und das kann er endlich auf dem Rasen. Für ihn fühlt sich die Rückserie dieser Spielzeit wie ein Neuanfang an. Seit dem Trainingsauftakt im Januar ist "Jili, wie die Kollegen ihn nennen, wieder obenauf. "Hamad startet durch", schrieb der "kicker" nach dem Trainingslager in Südafrika. "Das war wirklich ein Neubeginn für mich", sagt Hamad. Die lange Leidenszeit ist vorbei, die schon mit dem Wechsel nach Belgien begonnen hatte. Für
Hamad war die Ausleihe zu Standard Lüttich nach einer enttäuschenden ersten Hinrunde in Deutschland der erste große Rückschlag auf seinem bis dahin konstanten Weg nach oben.

"Wollte und musste gut spielen"

Von Malmö FF – wo er als 17-Jähriger einen Profi-Vertrag erhalten hatte – war Hamad gekommen, als ehemaliger U21-Kapitän des Drei-Kronen- Teams, die ersten Länderspiele in der A-Nationalmannschaft hatte er bereits absolviert. Zweimal war er mit Malmö schwedischer Meister geworden, endlich hatte sich in der Winterpause 2013/14 sein Traum von der Bundesliga erfüllt. Doch in seinem ersten Jahr brachte er es nur auf sieben Einsätze – davon nur einen in der Startelf. Also nahm er den Vorschlag des Clubs an, sich ausleihen zu lassen.

Aber er empfand den Weg nach Belgien als Abstieg: "Es war für mich ein Rückschritt. Ich hatte doch über 100 Spiele in der schwedischen Liga, ich hatte Europa League und die Qualifikation zur Champions League gespielt, 28 U21-Länderspiele und war mit der A-Nationalmannschaft von Schweden schon auf Weltreise." Das Fußballspielen, sagte er sich, könne er doch nicht verlernt haben. "Ich wusste, ich habe das Potenzial, um in der Bundesliga zu spielen." In Lüttich fand er zu alter Spielfreude und Stärke zurück, die TSG half dabei als stets präsenter Motivator: "Ich wollte und musste gut spielen, um wieder nach Hoffenheim zurückkehren zu können."

Doch dann sorgte die schwere Verletzung unfreiwillig für die erhoffte Rückkehr in den Kraichgau – so fehlte das für den Neustart fest eingeplante Selbstvertrauen im Gepäck. Stattdessen war die Zuversicht noch geringer als beim ersten Anlauf. In der Reha kamen erste Zweifel an seiner Laufbahn auf: "Fußballspieler brauchen Selbstvertrauen. Ich hatte natürlich Angst. Ich war ja vor der Verletzung schon nicht im Kader. Wie soll ich es nach dieser Verletzung schaffen? Die Zeit war die größte Herausforderung in meiner sportlichen Laufbahn."

"Das bedeutet die Welt für mich"

Doch dann kam die Winterpause, ein starkes Trainingslager in Südafrika – und der abschließende Test gegen Sturm Graz. Hamad wirbelte wie in besten Zeiten und krönte seine starke Leistung beim 3:0 mit einem Tor und einem Assist. "Das war meine Chance. Ich wollte selbst wissen, wo ich stehe. Normalerweise sage ich so etwas nicht, aber danach war ich stolz auf mich." Zum Auftakt gegen Leverkusen gehörte er dann wieder zur Startelf und schoss das Führungstor. Eine Befreiung.

"Jetzt habe ich wieder Selbstvertrauen. Ich habe den Anspruch an mich, ein Führungsspieler zu werden. Es war auch schwer für mich, die Mannschaft zu sehen, die nicht so gut gespielt hat, und ich konnte nicht helfen." Unter Coach Julian Nagelsmann soll der Aufwärtstrend nun weitergehen. Hamad genießt "jede Sekunde auf dem Platz": "In der Bundesliga zu spielen, ist etwas ganz Großes für mich. Das bedeutet die Welt für mich."

Zum Spielerprofil von Jiloan Hamad >>

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