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SPIELFELD
25.03.2016

Dietmar Hopp - Idee mit System

Im Jahr 1972 setzt Dietmar Hopp alles auf eine Karte – er will ein revolutionäres
Softwareprogramm entwickeln und gründet mit vier IBM-Kollegen eine eigene Firma.
Es wird der Weltkonzern SAP.

Für die meisten Menschen fühlt sich so vermutlich ein perfektes Leben an. Ein überaus gut bezahlter Job, dazu vermeintlich absolut krisensicher, in nächster Nähe zur Heimat und dazu das private Glück mit einer schwangeren Ehefrau, die das erste Kind erwartet. Man könnte sich den jungen Dietmar Hopp zu Beginn des Jahres 1972 also als überaus zufriedenen Menschen vorstellen. Als Kundenbetreuer der Weltmarke IBM ist der 31-Jährige ein gutes Stück vorangekommen auf dem Weg in die finanzielle Unabhängigkeit. Der Softwarekonzern zahlt gut, die Arbeitsplätze sind überaus begehrt – und Hopp hat sich nach sechs Jahren ein herausragendes Ansehen erarbeitet.

In dieser Situation geht Hopp zum nächsten Kunden – in die Fabrik des britischen Chemiekonzerns Imperial Chemical Industries (ICI) im nahe gelegenen Östringen. Knapp 2.000 Menschen arbeiten in dem neuen Werk, das die größte Fabrik für Nylonfäden in ganz Europa ist. Kaum eine Frau jener Zeit kommt ohne ICI-Fasern in den Damenstrümpfen aus.

"Aha-Erlebnis" bei ICI in Östringen

Hopp soll die Auftrags- und Versandabwicklung von ICI modernisieren und dafür sorgen, dass sie auf dem IBM-Großrechner auch funktionieren. Denn es sind die Computer, damals noch riesige Kisten, die IBM über die Vermietung das große Geld bringen. "Die Betreuung war ja praktisch geschenkt", sagt Hopp. Es hat ihm nichts ausgemacht. Der Job bei ICI war zumindest auch für IBM durchaus lukrativ, ein "Edelkunde", so sagt Hopp. Und er bekam für diese Aufgabe einen neuen Assistenten zugeteilt: ein junger Mann, gerade 28, namens Hasso Plattner. So fing es an. "Es war der Schlüsselpunkt für die Gründung der SAP", sagt Hopp. Schnell begriff das Duo, dass von Seiten der Software stets die gleichen Aufgaben zu bewältigen waren, egal ob Lohnbuchhaltung, Einkauf oder Auftragseingang.

"Ein echtes Aha-Erlebnis" nennt Hopp es heute. In ihm ruht die Chance auf das selbst gesteckte Ziel: Reichtum, Erfolg. Dietmar Hopp spürt, dass er zugreifen muss. Und das Schicksal bietet ihm diese Chance, denn der EDV-Chef bei ICI, Hermann Meier, ist begeistert von den jungen IBM-Größen. "Wir haben ihm dann vorgeschlagen, ein Programm für ICI zu schreiben, in dem die Eingaben im Real-Time-Verfahren verarbeitet werden", erzählt Hopp. "Das war außerordentlich kühn." Das sah damals auch Meier so – und schüttelte nur den Kopf: "Jede Wette, das kriegt ihr im Leben nicht hin", sagte Meier.

Damit aber war der ohnehin brennende Ehrgeiz des jungen Dietmar Hopp nachhaltig entzündet: "Wetten darf man mit mir nicht", sagt er heute lachend. "Wir haben in neun Monaten ein perfektes Programm hingelegt." Um zu ermessen, wie groß diese Leistung war, muss man sich die Entwicklung jener Zeit vor Augen führen. Der legendäre IBM-Großrechner, auf den ICI so stolz war, war ein hoher, klobiger Schrank mit lauter Knöpfen und Schaltern. Die Rechenleistung dagegen war, aus heutiger Sicht, geradezu bizarr bescheiden: Der Rechner hatte einen RAM-Arbeitsspeicher von 28 Kilobyte. Heute arbeitet jedes handelsübliche Laptop mit mehreren Gigabyte RAM – das entspricht der mehr als 100.000-fachen Leistung.

Die Lochkarte

Und das übliche Vorgehen war, aus heutiger Sicht, geradezu altbacken: Wenn Aufträge erfasst wurden, schrieb der Angestellte die Daten auf einen Zettel, die Formulare wanderten weiter, in den sogenannten Lochsaal. Dort saßen, im Fall ICI, rund zwei Dutzend Mitarbeiterinnen, welche die Daten übertrugen – aber nicht in den Computer, sondern auf Lochkarten. Statt Buchstaben wurden in einzelne, farblich unterscheidbare Karten Löcher gestanzt – geformt zu bestimmten Symbolen und Mustern, an exakt den richtigen Stellen. Die EDV-Leute bei der ICI kümmerten sich dann um die Lochkarten, speisten sie in großen Stapeln in den Computer ein, der die Löcher las und in Datenkolonnen übersetzte. "Und dann gab es am nächsten Morgen die Fehlerliste", so erinnert sich Hopp. "Und wenn da ein Fehler war, weil falsch gestanzt wurde oder die Stapel verrutscht sind, dann waren schon mal schnell zwei Tage verloren." Dann fing das Prozedere von vorn an. Heutzutage eine Schreckensvision für jeden Wirtschaftsbetrieb. Vergeudete Zeit war schon damals verbranntes Kapital.

Dietmar Hopp und sein Freund wie Kollege Hasso Plattner erkennen das unglaubliche Potenzial ihrer Idee, die Datenverarbeitung zu automatisieren, zu vereinheitlichen und sofort sichtbar zu machen. Und mit dem ICI-Verantwortlichen Hermann Meier treffen sie auf einen Leidensgefährten, denn Meier ärgert sich, insbesondere in Anbetracht des teuren wie hochmodernen IBM-Großrechners, über das langwierige Verfahren: "Hier werden mit dem Dampfhammer Erdnüsse geknackt", sagt Meier. Der Rechner müsse doch mehr können. "Da wählt man einen vergoldeten Rolls-Royce aus", so sagt er es, "und weiß nicht, wohin man fahren will."

Eine Revolution

Dietmar Hopp & Co aber kennen den Weg – und geben die Richtung vor. Eine Software, die für alle Unternehmen tauglich ist, ein Standardprogramm, das alle Firmen gleichermaßen nutzen können und das die verschiedenen Arbeitsbereiche eines Unternehmens miteinander verzahnt – das war das Fernziel. Der 31-Jährige schließt mit Hermann Meier ein Abkommen. Am Wochenende und in den Nächten, wenn der IBM-Großrechner nicht benötigt wird, können Hopp und seine Mitstreiter an ihrem neuen Wunderprogramm arbeiten. Die Finanzbuchhaltungssoftware namens RF soll die Daten in Echtzeit verarbeiten, die Dateneingabe soll direkt auf dem Bildschirm erscheinen. Heute eine absolute Selbstverständlichkeit, damals eine Revolution.

Hopps Bedingung: Er arbeitet auf eigene Rechnung und die Rechte an der Software verbleiben komplett bei dem kleinen Unternehmen, das Hopp mitsamt seinen Kollegen am 1. April 1972 gründet. Die Firma "Systemanalyse und Programmentwicklung GbR", kurz SAP – ein klassisches Start-up. Dafür erhält ICI das Recht auf eine lebenslange Nutzung der Software, inklusive aller Updates. Gratis. Hermann Meier sagt zu. Und Dietmar Hopp drückt aufs Tempo. Bei der IBM kündigt er, nimmt neben seinem Assistenten Hasso Plattner auch Klaus Tschira, den Betriebswirt Claus Wellenreuther sowie den Mathematiker Hans-Werner Hector mit ins Boot. Fünf Mann, die einen Weltkonzern und eine gut bezahlte wie sichere Anstellung verlassen, um ihr eigenes Glück zu schmieden. "Alle haben erkannt, dass es eine Chance ist", erinnert sich Hopp. "Ich habe es dann von uns Fünfen sicher am meisten vorangetrieben." In der eigenen Familie mag niemand die Begeisterung uneingeschränkt teilen. Seine Frau Anneliese ist hochschwanger, die eigene Mutter schüttelt nur den Kopf. "Wie kann man nur die IBM verlassen für so ein Abenteuer?", fragt sie ihren jüngsten Sohn.

Die Welt verändern

"Für mich war es aber kein Abenteuer", sagt Dietmar Hopp rückblickend. "Ich wusste, wenn es gar nicht klappt, kommen wir mit unseren Fähigkeiten überall unter, im Zweifel auch wieder bei der IBM." Der Konzern ist wenig begeistert von der Flucht der gut dotierten Angestellten, für deren Dienste dem Kunden immerhin satte 80 Mark die Stunde in Rechnung gestellt werden. Anderseits lockt auch die Möglichkeit, bei einer funktionierenden Software noch mehr Unternehmen die teuren Großrechner verkaufen zu können. Und so machen sich die fünf Jungunternehmer ans Werk: Nach Geld von der Bank fragen sie gar nicht erst – aussichtslos. Von der ICI bekommen sie, trotz eines überaus günstigen Angebots, zumindest so viel Geld, dass sie ihre Familien ernähren können.

Während des Tages übersetzen sie die Programmteile in Computersprache, bauen eine Datenbank auf und klügeln das neue Betriebssystem aus, das erstmals verschiedene Aufgabenbereiche logisch verknüpfen soll – eine absolute Neuheit. Und am Abend, wenn der ICI-Rechner nicht mehr benötigt wird, starten die Probeläufe. Erst dann sehen die jungen Männer, ob ihr Tagwerk erfolgreich war, wo es hakt, wie weit sie schon sind. Woanders können sie es nicht testen – einen eigenen Computer besitzt die junge SAP nicht. Es sind harte Monate, vor allem für den jungen Vater Dietmar Hopp. Am 27. April 1972 kommt sein Sohn Oliver auf die Welt, der Vater aber ist gerade dabei, die Wirtschaftswelt zu verändern. Der Preis war hoch. "Meine Frau hatte sehr große Bedenken", gibt Dietmar Hopp zu. "Ich habe ihr dann, weil wir am Wochenende ja immer arbeiten mussten, versprochen, dass wir montags dafür in den Schwarzwald fahren zum Skifahren oder zum Wandern in die Pfalz." Kurze Pause. "Es hat nicht ein einziges Mal geklappt."

"Wir waren keine Zauberer"

Doch der Fleiß, der Ehrgeiz und vor allem der Wagemut von Dietmar Hopp und seinem Kollegen-Quartett wird reich belohnt. Am 1. Januar 1973, exakt neun Monate nach dem Start, funktioniert das System. Nach nicht viel mehr als einem Augenzwinkern erscheinen die eingegebenen Daten auf dem Monitor. Hopp ist selig. Er hat es geschafft. Innerhalb kürzester Zeit kommen die nächsten Aufträge, kommen große Unternehmen
wie Burda und Boehringer. Das Programm bildet die Grundlage für den Aufstieg der SAP zu einem Weltkonzern.

Diese Entwicklung aber war noch weit weg, zu jener Zeit, an die sich Hopp heute noch gut erinnert. An die Entbehrungen, den jugendlichen Übermut – oder war es doch Wahnsinn? "Es war schon ein hartes Brot. Bei solchen Projekten säßen heute Teams von locker 200 bis 300 Mann, was wir da mit unseren paar Jungs gemacht haben. Wir haben manches falsch eingeschätzt, gedacht, dass es weniger aufwändig sei – aber, wenn ich heute sehe, was wir da hingekriegt haben, ist das schon erstaunlich." Das ist eine hübsche Untertreibung für die Revolution, die Hopp und seinen Mitstreitern gelungen war. Ja, sagt auch der heute 75-jährige Dietmar Hopp. "Die Entwicklung war schon extrem rasant." Und doch findet er: "Wir waren keine Zauberer." Aber es fühlte sich Anfang der 70er Jahre so an.

Teil I - Kicken, Krieg und Kaugummi >>

Teil II - Leberwurst, Tanztee und der Aufstieg >>

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