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SPIELFELD
05.10.2015

Ermin Bicakcic: "Wie eine Schachfigur"

Im Alter von zwei Jahren flüchtete Ermin Bicakcic mit seiner Familie vor dem Krieg auf dem Balkan. Über Österreich kam er nach Deutschland. SPIELFELD erzählt der Innenverteidiger seine ganz persönliche Flüchtlings-Geschichte.

Ermin, viele Menschen sind grade tief bewegt vom Flüchtlingsdrama, das sich vor unseren Augen abspielt. Du hast eine besondere Beziehung zu den Bildern. Wie ergeht es Dir, wenn Du das im Fernsehen sieht?

Ermin Bicakcic: „Tatsächlich ist es so, dass ich es mir kaum angucken kann. Vor allem natürlich, wenn man sieht, wie Menschen teilweise ablehnend auf Flüchtlinge reagieren. Da schaltet man den Fernseher aus, weil die Wut so groß wird.“

Weil die Erinnerung einen übermannt?

Bicakcic: „Die Bilder schütteln einen durch. Diese Parallelen sind brutal, wir waren damals Kriegsflüchtlinge wie diese Menschen heute. Meine Schwester Emela sagt dann immer: ‚Ey, guck mal, Ermin: Das war bei uns genauso, das haben wir auch erlebt.‘ Und dann realisierst du: vom Kriegsflüchtling zum Bundesligaprofi. Du hast echt Glück gehabt.“

Die Zeit ist dann wieder gegenwärtig?

Bicakcic: „Die Flucht hat meine Familie und mich natürlich sehr geprägt. Meine Schwester hat neulich etwas Gutes gesagt: Manche Leute wissen gar nicht, in welcher Lage sich diese Menschen befinden. Wenn man das selbst erlebt hat, weiß man aber, was es heißt, als Familie mit kleinen Kindern aus der Heimat zu flüchten, quer durch ein fremdes Land, ohne Alles, nur mit dem Wunsch irgendwo anzukommen, wo man in Sicherheit ist.“

Erzähl uns von Deiner Flucht-Geschichte.

Bicakcic: „Wir wohnten im bosnischen Zvornik, nahe der serbischen Grenze. Ich war, als der Krieg 1992 ausbrach, zwei Jahre alt, meine Schwester Emela schon elf. Wir hatten ein Haus da unten, für bosnische Verhältnisse haben wir sehr gut gelebt. Mein Vater Salko war Lehrer und meine Mutter Jasmina hatte einen Supermarkt. Und dann wirst du plötzlich einfach rausgerissen. Wie eine Schachfigur woanders hingesetzt.“

Weil die serbischen Truppen immer näher kamen.

Bicakcic: „Sie waren bei uns, im Haus. Bei unseren Nachbarn im zweiten Stock passierten schlimmste Dinge. Wir wohnten im neunten Stock; es war pures Glück. Meine Mutter wollte sich in der Zeit mal auf dem Balkon vor Aufregung eine Zigarette anzünden. Da hat mein Vater sie gepackt, in die Wohnung zurückgezerrt und geschrien: ‚Bist du verrückt, die Scharfschützen sind da draußen, die knallen dich ab, geh rein.‘ Aber die Unruhe war drinnen auch kaum auszuhalten.“

Es folgte die Flucht.

Bicakcic: „Wir mussten aus den Krisengebieten ja erst einmal rauskommen. Wir sind, mit anderen bosnischen Familien, auf einem LKW durch die Wälder gefahren. Mit Zwischenstationen, wo wir in Zelten übernachtet haben. Einmal mussten wir aus den Transportern raus, um über eine Brücke zu kommen. Da standen die serbischen Truppen und wir mussten an ihnen vorbei. Sie hätten uns jederzeit packen können.“

Aber Ihr konntet durch, weiter ins Ungewisse.

Bicakcic: „Meine Mutter hatte damals nur eine Tasche mit ein paar Klamotten für meine Schwester und mich. Für sich selbst hatte sie nichts. Sie sagt immer, das Schlimmste war, dass ja auch Windeln gefehlt haben. Sie musste dann immer die benutzten Windeln auswaschen oder an Bäumen ausreiben und trocknen. Und im Zweifel wurde mir ein T-Shirt umgebunden. Es war menschenunwürdig und erniedrigend.“

Schließlich aber kamt Ihr in Österreich an.

Bicakcic: „Ab dem Tag hatten wir das Schlimmste irgendwie hinter uns. Dort warteten Hilfsorganisationen auf uns und wir wurden in Hallen aufgenommen. Ich kann mich noch gut an die Tische und Bierbänke erinnern. Da konnten wir auch übernachten und es wurde warmes Essen ausgeschenkt. Schließlich fanden wir bei entfernten Bekannten dann ein Zeit lang Unterschlupf.“

Und habt dort auf Deinen Vater gewartet?

Bicakcic: „Ja, jeden Tag. Die Väter mussten ja an der Front bleiben, nur Frauen und Kinder durften raus. Das sind die Momente, wo du nicht weißt, was schlimmer ist: selbst im Krieg zu sein, oder einfach nur warten, ob der Vater, die gesamte Familie überlebt. Es war die Hölle. Ständig kommen Nachrichten über Massaker und Tote. Noch mehr Tote - und du wartest auf deinen Vater.“

Er kam dann zum Glück tatsächlich.

Bicakcic: „Ja, er tauchte wirklich eines Tages bei uns auf. Die Hilfsorganisation hat uns damals wieder zusammen geführt. Es war ein wahnsinnig intensiver Moment.“

Von dort ging es weiter nach Deutschland.

Bicakcic: „Über Bekannte von uns sind wir nach Neckarsulm gekommen Die Eltern mussten gucken, dass Geld reinkommt, und das ging - das muss man ganz klar so sagen - erst einmal nur durch Schwarzarbeit. Man hat alles angenommen. In Mockmühl hat mein Vater dann später bei einer Heizungsfirma eine Arbeit bekommen. Er war Lehrer und plötzlich reparierte er Heizungen. Damit musst du auch erst mal klarkommen.“

Wo habt ihr damals gewohnt?

Bicakcic: „Wir bekamen vom Chef die Möglichkeit, auf dem Firmengelände zu bleiben, wohnten in einem kleinen Container mit Doppelbett und einem kleinen Waschbecken. Tagsüber war ich immer gegenüber auf einem Spielplatz und hab da Fußball gespielt. So hat es alles seinen Lauf genommen, mein Vater ist heute noch in der Firma, meine Mutter noch immer im Kaufland - und ich hab meine Fußball-Karriere begonnen. Das ist die ganze, verrückte Story.“

Hast Du gespürt, dass Dein Leben anders war als das Deiner Freunde?

Bicakcic: „Als Kind damals habe ich zwar nicht realisiert, wovor ich gerade entkommen war. Aber natürlich wusste ich, dass ich andere Umstände hatte. Ich wurde zwar überall super aufgenommen, aber ich konnte nie Freunde zu mir einladen. Ich hatte nichts, außer dem Container. Ich war immer nur zu Gast bei den anderen. Und wenn mal Freunde vorbei kamen, waren wir auf dem Spielplatz bei mir um die Ecke.“

Gab es nie den Gedanken, zurückzugehen?

Bicakcic: „Meine Eltern, und das fasziniert mich heute noch, haben in erster Linie an uns gedacht. Sie wussten, dass es für uns in Bosnien zu der Zeit nach einer Rückkehr keine wirkliche Perspektive geben würde. Wir hatten alles verloren und mussten von Null anfangen. Aber meine Eltern haben in Deutschland die Chance gesehen, neu anzufangen. Der Rest meiner Familie ist in Bosnien geblieben, oder dorthin zurückgekehrt. Wir hatten nur uns hier in Deutschland, das hat uns zusammengeschweißt.“

Und ihr habt gehofft, dass ihr bleiben dürft?

Bicakcic: „Wir mussten uns jeden Monat die Duldung abholen und jeden Monat zittern, ob wir bleiben dürfen. Das war unsere einzige Chance. Irgendwann kam dann der Tag, an dem ich für die deutschen Junioren gespielt habe: Das war für mich die Rettung, von da an war ich gesichert und wir konnten bleiben.“

Aber Du hast dich sportlich dann doch anders entschieden, spielst nun für Bosnien?

Bicakcic: „Es ging damals nur um den sportlichen Aspekt. Als der bosnische Fußballverband das erste Mal überhaupt angeklopft hat, war das sportlich sehr interessant, weil es um die EM-Qualifikation ging. Dann habe ich mich entschieden, den Weg in Bosnien zu suchen. Und immerhin habe ich es so bis zur WM geschafft.“

Und was empfindest Du nun als Deine Heimat?

Bicakcic: „Das ist schwer zu sagen - immer noch. Ich habe sicher das Heißblütige, auch die Sturheit der Bosnier in mir. In der Nationalelf nannten mich die Kollegen dafür von Beginn an „Schwabo“, den Deutschen. Eben, weil ich, wenn es um 12 Uhr Mittagessen gibt, um 11.59 Uhr da bin, während die Kollegen erst um 12.05 Uhr kommen. Also, die deutschen Tugenden haben ich verinnerlicht.“

Mit Deiner ganz persönlichen Geschichte. Was ist das Wichtigste im Umgang mit den Flüchtlingen?

Bicakcic: „Wenn ich jetzt die Massen sehe, die kommen: Es ist nicht einfach, das zu steuern. Da mache ich auch keinem einen Vorwurf. Man muss einfach versuchen, alles in die Wege zu leiten. Das ist mein Appell an die Menschlichkeit: Wir sollten versuchen, diesen Leuten zumindest so gut es geht zu helfen, ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben. Es müssen nicht immer Klamotten oder Essen sein, das ist natürlich überragend. Aber das Gefühl, wir helfen euch, hier habt ihr einen Anhaltspunkt, ist auch ein wichtiger Schritt. Denn die Situation ist brutal: Du musst ja überhaupt erst einmal die Gedanken ordnen und verstehen, was gerade alles passiert. Dein Leben verändert sich radikal. Das ist schon hart.“

Und was rätst Du den Flüchtlingen in dieser Situation?

Bicakcic: „Man kann es sicher nicht verallgemeinern, aber jeder muss sich auch eigenständig um Lösungen bemühen. Wir standen auch nicht, um es bildlich zu sagen, fünf Tage an dem gleichen Büdchen und haben geklopft. Wir haben andere Wege gesucht. Fast alle versuchen den Plan A, aber wie viele bemühen sich um einen Plan B, C oder D? Du musst vieles probieren.“

Und am Ende gehört auch Glück dazu?

Bicakcic: „Absolut, und das hatten wir. Etwa, dass der Chef in der Firma meines Vaters ein so großes Herz hatte, dass er eine Familie aufgenommen hat. Es ist nicht selbstverständlich, einem Flüchtling einen Job zu geben, sich vielleicht noch Ärger auf den Hof zu holen. Das war eine große menschliche Geste. Wir hatten sehr, sehr viel Glück. Und aus dem Glück haben wir etwas gemacht.“

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